Gebrauchsanleitung fuer Archive 2 Der Weg der Recherche - Burkhardt
Contents
- 1 SUMMARY
- 2 BIBLIOGRAPHIC INFO
- 3 TAGS & CATEGORIES
- 4 Gebrauchsanleitung fuer Archive 2 Der Weg der Recherche - Burkhardt
- 5 Von der Frage zur Quelle. Der Weg der Recherche
- 6 Varianz der Archivalquellen
- 7 Nutzungsbestimmungen
- 8 Service
- 9 Further Links and Endnotes
SUMMARY
Dieser Text hilft Personen bei Ihren Recherchen in einem (Papier-)Archiv. Teil 2.
BIBLIOGRAPHIC INFO
Text is in German . See guides for translating content.
- Martin Burkhardt
- 2020
- eLib.at Licence
- Grey Work
- eLib.at
Burkhardt Martin: Gebrauchsanleitung für Archive . In: eLib.at (Hrg.), 06. Januar 2020. Zitiert von: historicum.net, 2006. Export citation for this page.
TAGS & CATEGORIES
Gebrauchsanleitung fuer Archive 2 Der Weg der Recherche - Burkhardt
Diese Gebrauchsanleitung für Archive wurde uns freundlicherweise von Herrn Dr Martin Burkhardt zur Veröffentlichung durch eLib.at zur Verfügung gestellt. Dieser Text wurde auf historicum.net erstveröffentlicht. Vielen Dank!
- Dr. Martin Burkhardt
- Version: 22. September 2006
Anm. d. Red.: Aus technischen Gründen wurde der Aufsatz in zwei Teile aufgeteilt:
Von der Frage zur Quelle. Der Weg der Recherche
Vorweg bemerkt: Wer im Archiv recherchiert, benötigt Geduld und Frustrationstoleranz. Es existiert wohl kein anderes Informationsmedium, bei dem das Verhältnis zwischen Zeitaufwand und quantitativem Ertrag derart miserabel ausfällt. Aber: Wer nicht aus fünfzig Büchern das 51. zusammenschreiben will, dem bleibt kaum eine andere Möglichkeit. Archivalien bieten nicht nur die Chance, etwas völlig Neues zu entdecken, sondern auch die Grundlage dafür, in Ehren ergraute wissenschaftliche Erkenntnisse an der Quelle zu überprüfen und gegebenenfalls mit besserer Beweiskraft vom Sockel zu stoßen.
Die richtigen Archive ermitteln
Eine gewisse Hilflosigkeit beim ersten Schritt von der Fragestellung zum Archiv ist nur allzu verständlich. Oft ist es banal klar, welches Archiv das richtige ist, doch häufig erschließt sich diese Materie selbst Professionellen nicht ohne weiteres.
Gemäß Ihrem Erkenntnisinteresse, Ihrer spezifischen Fragestellung wäre analytisch zu klären
a) die staatsrechtlich-politische Ebene
Welchem territorialstaatlichen Gebilde gehörte das Untersuchungsgebiet vor und nach den bekannten politischen Umbrüchen an, insbesondere den Säkularisierungen im 16. und 19. Jahrhundert, der Mediatisierung im 19. Jahrhundert, den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts? Es gilt das Prinzip der so genannten "Archivfolge", das bedeutet: Das Archiv folgt der Herrschaft. So gelangten die Verwaltungsunterlagen des Esslinger Katharinenhospitals in der Reformationszeit unter die Obhut der Reichsstadt und sind heute im Stadtarchiv zu benutzen. Der Landgraf von Hessen übernahm 1533 mit dem Kloster Haina auch dessen Urkunden, die heute im Staatsarchiv Marburg liegen. Die Akten der Provinzialverwaltung Brandenburg im Landeshauptarchiv Potsdam beziehen sich selbstverständlich auf alle zu Brandenburg gehörigen Gebiete, auch die östlich der Oder. Das 1945 geflüchtete Staatsarchiv Königsberg wird seither von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz im Geheimen (das heißt nur noch so) Staatsarchiv zu Berlin gepflegt.
Vordergründig simpel scheint die Sachlage in Kommunalarchiven: Da liegt alles zur Stadtgeschichte? Mitnichten. Die Stadt Konstanz zum Beispiel verlor 1548 ihre Reichsfreiheit, gehörte für die folgenden zwei Jahrhunderte administrativ zu den österreichischen Vorlanden, bis 1806 zur Provinz Vorderösterreich, anschließend zum Seekreis im Großherzogtum Baden. Folglich liegt reiche Überlieferung zur Stadt Konstanz in der Frühen Neuzeit im Landesarchiv in Innsbruck und (auch für die Zeit danach) im Generallandesarchiv Karlsruhe. Die Beschäftigung der nächst höheren Verwaltungsebene mit Konstanz im Alten Reich dokumentiert das Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien. Dazu treten selbstredend zahlreiche weitere Archive, in denen Stadt-Konstanz-Betreffe zu finden wären.
b) Die räumliche Zuständigkeit
Jedes Archiv hat einen räumlichen Zuständigkeitsbereich, den so genannten "Archivsprengel". Konkret ausgedrückt, kümmert sich ein Archiv z.B. um die angemessene Überlieferung aller kirchlichen Amtsstellen in der Diözese, aller Landesbehörden im Regierungsbezirk, aller Unternehmen, Kammern und Wirtschaftsverbände im Bundesland. Diese Angabe gehört zu den Basisinformationen, die Sie auf jeder Archiv-Homepage finden.
c) Die sachliche Zuständigkeit
Immer in Bezug zur Fragestellung sollten Sie herausfinden, welche Behörden – häufig handelt es sich um mehrere – für das interessierende Sachgebiet zuständig waren.
Ein klassisches Beispiel für diese Frage ist der Verwaltungsbereich "Kirche", der für beide Konfessionen bis ins 19 Jahrhundert hinein das zumal niedere Schulwesen organisierte. Wenn Sie also z.B. zur "Elementarbildung im Zeitalter der Aufklärung" forschen möchten, dann sollten Sie zunächst die regional zuständigen kirchlichen Archive aufsuchen. Ebenso führten kirchliche Stellen die Personenstandsregister, wesentliche Quelle in genealogischen Fragen.
Zum anderen, etwas verwickelteren Beispiel, war in Württemberg im 19. und 20. Jahrhundert das Sachgebiet "Statistik und Landesbeschreibung" dem Ressort des Finanzministeriums zugeteilt. In Baden gehörte dasselbe Sachgebiet zunächst zum Handels-, später zum Innenministerium.
Einen, unterschiedlich guten, Überblick über diese Materie bieten Verwaltungshandbücher, die in jedem besseren Archiv im Benutzersaal stehen (Beispiel: Alfred Dehlinger, Württembergs Staatswesen in seiner geschichtlichen Entwicklung bis heute, 2 Bände 1951 und 1953). In einzelnen Jahrgängen sehr ausführliche Aufgabenbeschreibungen der Ministerien und ihrer untergeordneten Abteilungen bieten die Hof- und Staatshandbücher des 19. Jahrhunderts.
Für die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft gilt es zu berücksichtigen, dass es die Nazis liebten, reguläre Behördenzüge aufzubrechen und parallel zur hergebracht zuständigen Stelle den "Sonderbeauftragten des Führers (respektive Gauleiters oder Oberbürgermeisters) für das Sowiesowesen" zu installieren. Auf Reichsebene liegen dessen Unterlagen im Bundesarchiv, man muss nur den Bestand herausfinden. Auf Länder-, Gau- und kommunaler Ebene lief dies auf eine schräge, oft nur schwer nachzuvollziehende mehrfache Teilüberlieferung hinaus. Konkret: Unterlagen über Zwangsarbeiter oder die Tätigkeit der Geheimen Staatspolizei oder die Lebensmittelversorgung während des Zweiten Weltkriegs müssen so ungefähr überall vermutet werden.
Das gleiche gilt für schriftliche Nachlässe, die außer in Archiven auch von Bibliotheken und Museen verwahrt werden. Im Zeitalter des Internet helfen die Zentrale Datenbank Nachlässe des Bundesarchivs und das Kalliope-Portal der StaBi Berlin.
Über Möglichkeiten der Archivrecherche bei einer biografischen Fragestellung ist kürzlich ein Aufsatz von Jürgen Treffeisen erschienen: [hier]
Um Sie nicht womöglich von einer Archivbenutzung abzuschrecken, bleibt das weitere Feld der Sonderfälle und Ausnahmen hier unbestellt. Stattdessen beschließe eine praktische Empfehlung diesen Abschnitt: Ermitteln Sie, am besten anhand einer jüngeren Dissertation oder anderer wissenschaftlicher Literatur, das erste Archiv mit wesentlichem Quellenbestand zum Thema. Dort stellen Sie Ihr Forschungsvorhaben vor und fragen, wo weitere einschlägige Quellen zu erwarten oder vermuten sind. Professionelle Kolleginnen und Kollegen wissen in konkreten Einzelfällen am besten Bescheid.
Die archivischen Find-Hilfsmittel
Im Zusammenhang dieses Abschnitts vermeide ich den Begriff "suchen", da der zu sehr nach Zufall oder Volltextrecherche klingt. Beides kommt im Archiv zwar auch vor, aber grundsätzlich gelangt man hier durch Ermitteln an sein Ziel, man kombiniert sozusagen vom Stamm über den Ast und den Zweig bis hin zum Blatt.
Gesamtübersicht über die Bestände
Ein "Bestand" im Archiv ist die Überlieferung (von bleibendem Wert), die von einer bestimmten funktionell und zeitlich abgegrenzten Organisationseinheit stammt. Folglich gibt die Beständeübersicht einen Überblick darüber, woher das Archiv seine Archivalien hat; diese Herkunft erlaubt erste Schlüsse, welche Formen und Inhalte zu erwarten sind.
Beispiele für "Bestände", jeweils noch zeitlich eingegrenzt, sind: "Kultusministerium", "Bezirksamt Wolfach", "Reichsstädtischer Rat", "Werft Bremer Vulkan", "SA-Gruppe Kurpfalz", "Nachlass Rudolf Ditzen" oder auch "Technische Pläne III: Patentschriften".
Findbuch
Das Findbuch beschreibt einen Bestand. Grundeinheit im Findbuch ist die – entsprechend einer Klassifikation – platzierte einzelne Akte (analog auch der Band, die Karte, die Konstruktionszeichnung, das Foto, ggf. gruppenweise, z.B. als Fotoalbum oder thematische Gruppe "5 Luftaufnahmen des Neubaugebiets Flurgewann 1970–79").
Die einzelne Akte wird im Findbuch mit folgenden Merkmalen beschrieben:
a) Titel, das ist der kurze und alles umfassende Betreff à la "Finanzierung des Rathausneubaus" oder "Maßnahmen zur Verhütung erbkranken Nachwuchses", bei Personalakten einfach "Katharina Blum".
b) Enthält- und Darin-Vermerke beschreiben, soweit nötig, den Inhalt näher, nennen vorkommende (wesentliche) Personen und Orte, weisen auf Besonderheiten hin.
c) Die Laufzeit gibt an, von wann bis wann die Akte gebildet, also mit Inhalt gefüllt wurde. Unerheblich ist hier, auf welchen Zeitraum sie sich bezieht. Eine Akte "Planungen zum Rhein-Main-Donau-Kanal" mag zwar Wissenswertes über die Fossa Carolina enthalten, ihre Laufzeit beginnt deshalb nicht mit Karl dem Großen (derlei Angaben gehören ggf. in den Titel oder den Enthält-Vermerk).
d) Die Einheit oder Größenordnung lautet z.B. "1 Faszikel", "1 Band", "3 cm" [dick], "8 Blatt" oder ähnlich.
e) Die eindeutige Bestellnummer der Akte sollte man nicht verwechseln mit der ebenfalls häufig vergebenen Ordnungsnummer des Stücks im Findbuch. Diese Bestellnummer gehört auch in die korrekte Zitation nach dem Schema Archiv / Bestandskürzel / Bestellnummer (ggf. weiter Blatt oder Seite oder Datierung). Beispiel: "Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg (oder abgekürzt "WABW") / B 1009 / Bü 181".
Inventar
Ein Inventar gleicht dem Findbuch, ist aber eher zum Druck oder für das Internet, jedenfalls für eine breite Öffentlichkeit bestimmt. Gesamtinventare beschreiben die Bestände eines Archivs ausführlich, einschließlich Behördengeschichte und Angaben zu andernorts liegenden einschlägigen Quellen. Sachthematische Inventare filtern quer durch mehrere Bestände eines Archivs oder auch durch mehrere Archive alle Akten und anderen Grundeinheiten zum Thema heraus, z.B. den Aspekt "Technikgeschichte".
Online-Findmittel
Ins Internet sind bislang, wenn überhaupt, vor allem Beständeübersichten und Inventare gelangt. Das Einstellen detaillierterer Findbücher ins Netz wird derzeit in Fachkreisen diskutiert, und zwar vor allem unter der Frage, ob man so unter Umständen zu delikate Informationen unkontrolliert preisgibt. Viele Findbücher belegen in Teilen Archivgut, das noch einer Sperrfrist unterliegt; und selbst wenn Sperrfristen abgelaufen sind, möchte ich als Archivar wenigstens mitbekommen, wer da ein berechtigtes Interesse hat, die Tatsache "Gerichtsverfahren gegen Manni Mustermann wegen Konkursbetrugs 1972" zu erfahren.
Varianz der Archivalquellen
Archivgut (im strengen Sinne wie in 2.2 ausgeführt) liegt in Gestalt verschiedener Informationsträger oder Speichermedien vor.
Texte
Den größten Raum in Archivmagazinen nimmt der "klassische" Informationsspeicher Papier ein, in mehr oder minder fest formierten Einheiten. Fest gebunden, meist mit Deckel, phänotypisch wie ein Buch aussehend, läuft das unter "Amtsbuch" oder "Geschäftsbuch" mit der Grundeinheit "1 Band". Die Einheiten bei den Akten, deren Blätter geheftet oder einfach lose übereinander gelegt sind, bezeichnet man regional unterschiedlich als "Aktenband", "Aktenheft", "Büschel", "Faszikel" oder "Konvolut". Eine Urkunde ist eine solche, wenn sie bestimmte formale Kriterien erfüllt; sie darf auf Pergament oder Papier geschrieben sein; wegen der oft anhängenden Siegel werden Urkunden üblicherweise als "Selekt" geführt, also als eigener (Teil-)Bestand separat verzeichnet und gelagert. Archive enthalten auch reichlich Druckschriften, teils in gesonderten Sammlungsbeständen, teils in zugehörige Akteneinheiten integriert: Insbesondere Zeitungen, Rundschreiben, Erlasse, Flugblätter, Kalender, den bunten Strauß an "grauer" Literatur (ohne ISB-Nummer), wie Jahresberichte, Festschriften, historiographische Traktate, technische Anleitungen, usw. usf.
Bilder
Für Bilder im Archiv (ausgenommen spezielle Bildarchive) gilt das gleiche wie für die Druckschriften: Sie liegen teils in Sondersammlungen, teils eingebettet (oder auch verstreut) in Akten-Beständen. Nichts kommt nicht vor: illustrierte Ahnentafeln bzw. Stammbäume, so genannte Augenschein-Karten und andere amtliche Zeichnungen von Landschaften, Orten und Gebäuden, Karten, Baupläne, Konstruktionszeichnungen, Fotografien (von der Schwarzweiß-Glasplatte bis zum Farb-Papierabzug), Plakate, Postkarten, Schaubilder, Buchillustrationen, bildende Kunst (in der Regel zweidimensional, vom Druck bis zum Ölgemälde) – die Reihe ist gewiss unvollständig.
AVD / Multimedia / Neue Medien
Andere als zweidimensionale Text- oder Bildträger gelangen selten in Archive, ausgenommen selbstredend die Medienarchive. Über den Daumen gepeilt, dürfte sich das quantitative Verhältnis der Gattungen Text / Bild / neue Medien im Durchschnittsarchiv derzeit auf 1000 zu 25 zu 1 belaufen. In kleineren Archiven könnte die Nutzung wegen des Fehlens geeigneter Abspielgeräte für die Tonbänder, Audiokassetten, Polyethylen- und Videofilme Probleme bereiten. Künftig wird wohl zunehmend auch mit elektronischen Speichermedien wie Disketten und CDs zu rechnen sein.
Einen Sonderfall bilden Mikrofilme und Mikrofiches, die in der Regel als Schutz- oder Ersatzverfilmung von Akten, Urkunden, Karten und Fotos angefertigt wurden.
Museale Gegenstände
findet man nur ausnahmsweise in einem Archiv. Solche Ausnahmen können im Staatsarchiv die als Beweisstück in der Gerichtsakte angehängte Schere vom Kindsmörderinnen-Prozess aus dem 18. Jahrhundert sein; im Vereinsarchiv die Siegespokale; im Wirtschaftsarchiv allerlei Reklameträger, wie Textilien mit Aufdruck, Spardosen oder dreidimensionale Werbefiguren.
Wahrung persönlicher Rechte mit Hilfe von Archivalien
Heute gelten Archive in erster Linie als Quellenspeicher für die historische Forschung. Diese Entwicklung nahmen sie jedoch erst im Lauf des 19. Jahrhunderts, nach einer so genannten "kopernikanischen Wende" im Zuge der französischen Revolution. Zuvor dienten Archive ihren Trägern einzig als Schatzkammern, in denen sie materiell wertvolle juristische Beweismittel für ihre Rechte bunkerten. Der juristische Aspekt ist heute im öffentlichen Bewusstsein etwas in den Hintergrund getreten, gilt aber immer noch.
In Archiven aufbewahrte Schriftstücke können Menschen bei der Wahrung persönlicher Rechte helfen, man denke etwa an die aktuellen Nachweise über Zwangsarbeit, an Nachweise von Ausbildungsabschlüssen, oder von Nutzungsrechten, wie es ein Beispiel aus dem Jahr 1999 zeigt: "An einem Freitagabend gegen 19.30 Uhr betrat ein Ehepaar unser Archiv, um eine vorbestellte Akte einzusehen. Die beiden hatten erkennbar Schwierigkeiten bei der Lektüre und so ergab es sich, dass ich ihnen die Bauakte vom Ende des 19. Jahrhunderts vorlas. Mit jedem Satz, den ich las, hellten sich die Mienen des Ehepaars auf, bis sie ihre Geschichte erzählten: Ihre kleine Eisen verarbeitende Fabrik lag in einem Wohngebiet und sollte auf Anweisung der Gemeinde in das Industriegebiet verlegt werden. Für die Umsiedlung fehlte aber das Geld. Der Betrieb und knapp 10 Arbeitsplätze standen – trotz der Beratung von mehreren Rechtsanwälten – auf dem Spiel. Die vorgelegte Bauakte enthielt nun die Baugenehmigung für eine Schmiede an dem Standort der heutigen Fabrik samt Zustimmung von Gemeinde und Einverständnis der Nachbarn. Damit war auch der heutige Betrieb gerettet. Als die beiden das Archiv verließen, drehte sich der Mann noch einmal um und meinte: »Wenn wir eher gewusst hätten, dass hier diese Unterlagen sind, hätten wir uns viel Geld sparen können.« Und mir stellte sich die Frage: »Welche Chance hatte dieses Ehepaar, von einem Archiv und seinen Aufgaben überhaupt zu wissen?« Wenn wir ehrlich sind: keine." [2]
Ähnlich gelagerte Fälle sind so genannte Grunddienstbarkeiten wie Durchfahrts- oder Wegerechte. Wassernutzungs- und Mühlenrechte gelten, sofern sie nicht abgelöst wurden, ewig: Mit einem Wasserrecht aus dem 16. Jahrhundert, das eine Kollegin 1994 nachwies, gewann ein Bürger seinen Prozess gegen die Kommune um seine private Wasserkraftanlage, mit der er dann weiter eigenen Strom erzeugen durfte. Die Staatsarchive in den neuen Bundesländern haben in den vergangenen Jahren einen erheblichen Teil ihres Personals zu nichts anderem eingesetzt, als Restitutionsansprüche mit Auszügen aus den Grundbüchern (allein im Landeshauptarchiv Potsdam: acht Regalkilometer) zu unterfüttern.
[2] Clemens Rehm: Zauberwort "Archivpädagogik". Vortrag am 12.10.2000 auf dem Deutschen Archivtag in Nürnberg. In: <http://www.archivpaedagogen.de/allgemei/archivarchipaed.htm>
Ein weiteres Beispiel vom Dezember 2003:
<http://www.findbuch.net/augiasnet>
Nutzungsbestimmungen
Archivgesetze und Sperrfristen bei Archivalien
Abgesehen vom staatlichen Schriftgut der untergegangenen DDR unterliegen Archivalien in Deutschland gesetzlich fixierten Sperr- und Schutzfristen; das bedeutet, nur diejenigen, die bestimmte Unterlagen selbst produziert haben – oder von ihnen autorisierte Personen – dürfen sie vor Ablauf der Frist einsehen.
Diese Sperrfristen sind nicht als Schikane erdacht worden. Sie bilden sozusagen den Kompromiss zwischen zwei einander widersprechenden Rechtsgütern, nämlich einerseits dem Grundrecht der Informations- und Wissenschaftsfreiheit nach Artikel 5 Grundgesetz, zu dem auch das Recht gehört, sich "aus allgemein zugänglichen Quellen" auch in Archiven "ungehindert zu unterrichten", andererseits dem im Volkszählungs-Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1987 erkannten Recht jeder Einzelperson auf informationelle Selbstbestimmung – etwas vulgarisiert auch bekannt unter dem Begriff "Datenschutz". Behörden dürfen Daten über uns Bürger nur sammeln und speichern, soweit sie diese Daten unmittelbar für hoheitliche Verwaltungsakte benötigen. Als Konsequenz hieraus müsste jede Behörde die spannendsten Teile ihres Schriftguts komplett vernichten, sobald der betreffende Verwaltungsakt abgeschlossen ist. Keine Akte, in der eine Person vorkommt, würde mehr in ein Archiv gelangen.
Um also den Widerspruch zwischen dem Schutz des Einzelnen vor einem Überwachungsstaat und dem Recht der Öffentlichkeit auf ungehinderte Information aus allen Quellen aufzulösen, hat die Legislative in Bund und Ländern die Archivgesetze beschlossen, darin unter anderem Sperrfristen für die öffentliche Einsichtnahme festgelegt. Die Unterschiede in den Archivgesetzen der 16 Länder und des Bundes wirken sich auf die Benutzung allenfalls ausnahmsweise aus. Überwiegend gilt:
Sachakten
Sachakten und andere sachbezogene Informationsträger (wie in 5.2 bis 5.4) werden 30 Jahre nach ihrem Entstehen zur öffentlichen Einsicht frei. Bei Akten mit einer "Laufzeit" über mehrere Jahre beginnt die Sperrfrist in dem Jahr abzulaufen, das auf das Datum des letzten essentiellen Schriftstücks folgt. Konkretes Beispiel: Das letzte wesentliche Schreiben datiert auf 17. Mai 1973, dann beginnt die Sperrfrist am 1. Januar 1974 abzulaufen und endet mit dem 31. Dezember 2003. Vermerke à la "Akte entliehen / 9.11.89 / Meyer II" sind keine wesentlichen Einträge und begründen somit auch keine Verlängerung der Sperrfrist.
Bei Unterlagen, die der besonderen Geheimhaltung unterliegen, verdoppelt sich die Sperrfrist auf 60 Jahre. In der Praxis gelten als besonders geheim in diesem Sinne Steuerunterlagen, Krankenakten, Sozialdaten und dergleichen. In periodischen Abständen geistert die Debatte "Alle Personennamen müssen geschwärzt werden!" durch die Zeitungen. Um eben dies zu verhindern, haben Archivare in umstrittenen Fällen solche langen Sperrfristen in die Gesetzesvorlagen geschrieben.
In privaten, etwa Adels- oder Unternehmensarchiven könnte es Ihnen passieren, dass Unterlagen mit astronomisch anmutenden Sperrfristen von 50 oder 100 Jahren versehen sind. Doch bevor Sie sich darüber ärgern, bedenken Sie bitte, dass alternativ mit hoher Wahrscheinlichkeit die Vernichtung erfolgt wäre, und dass Sie eine Akte, die immerhin noch existiert, nach einem Antrag auf verkürzte Sperrfrist vielleicht doch einsehen dürfen. Zum Beispiel möchte ich den Vorstand einer bestimmten Bank sehen, der trotz Verkürzungsantrags auf seiner 60-Jahres-Frist beharrt und entsprechend etwa die Protokolle des Jahres 1945 noch immer unter Verschluss hält.
Personenbezogenes Archivgut
Was personenbezogenes Schriftgut sei, darüber bestehen im Bund und den verschiedenen Ländern leider leicht unterschiedliche Definitionen. Jedenfalls darf das bloße Vorkommen eines oder mehrerer Namen nicht zur Sperrung führen. Das Material muss vielmehr "nach seiner Zweckbestimmung" oder seinem "wesentlichen Inhalt" auf eine natürliche Person bezogen sein, also z.B. als Personalakte. Vor allem schützt der Geist des Gesetzes passiv erfasste Personen, beispielsweise die Patientin in der Psychiatrieakte oder die als Zeugen verhörten Jungen in der Pädophilieprozessakte aus dem Jahr 1940.
Die Sperrfristen dauern hierbei bis 10 Jahre nach Tod der betreffenden Person (Archivgut des Bundes, von Rheinland-Pfalz, Saarland und Sachsen-Anhalt: 30 Jahre). Grundsätzlich obliegt es dem Nutzungsinteressenten, gegebenenfalls den Todeszeitpunkt nachzuweisen. Doch sofern das Todesjahr nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu ermitteln wäre, greift alternativ die Sperrfrist von 90 Jahren nach Geburt (Bund und die 3 genannten Länder: 110 Jahre).
Die Divergenz dieser Gesetzespassagen lässt sich so wenig abstreiten wie ein Hauch von Willkür und Inkonsequenz. Doch träfe letzteres wohl auch auf jede andere Regelung zu.
NICHT geschützt, also wie andere Sachakten nach 30 Jahren freigegeben, sind Unterlagen, mit denen Amtsträger amtlich gehandelt haben, also das dienstliche Schriftgut von z.B. 1933 berufenen Universitätsrektoren und Oberbürgermeistern, von Gauleitern, Mitarbeitern des Sicherheitsdienstes, Wehrmachtsoffizieren, Leiterinnen von Frauen-KZ, usw. usf. – es sei denn, in solchen Unterlagen passiv erfasste Personen würden eine Schutzfrist begründen.
Hinsichtlich der Sperrung oder Freigabe personenbezogenen Schriftguts macht es vor dem Gesetz überhaupt keinen Unterschied, ob die dokumentierte Person vor dem Richterstuhl der Historie als "Täter" oder als "Opfer" erscheint. Die Nachkriegs-Krankenakte eines üblen Nazi-Schergen ist ebenso bis zehn Jahre nach dessen Tod gesperrt, wie das Protokoll einer Sterilisation "zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" bis zehn bzw. 30 Jahre nach dem Tod des 1954 geborenen Kindes dieses Zwangssterilisierten verschlossen bleibt.
Antrag auf Verkürzung der Sperrfrist
Wo immer Sperrfristen wirken, bleibt die Möglichkeit, einen Antrag auf Sperrfristverkürzung zu stellen. Solche Anträge stellt man formlos, sie sollten Selbstverständlichkeiten wie Datum, vollständige Angaben zur eigenen Person, Unterschrift und dergleichen enthalten, auch eine Begründung wird sich empfehlen. Bei privaten Archivalien, wie z.B. dem Schriftgut eines Wirtschaftsunternehmens oder häufig bei wissenschaftlichen Nachlässen, entscheidet der Eigentümer; bei öffentlichem Archivgut ist die Archivleitung oder, so vorhanden, eine Landesarchivverwaltung zuständig.
Weitere Erläuterungen zu den Sperrfristen für Archivalien und amtliches Registraturgut
Die gesetzlichen Sperrfristen gelten überhaupt nicht für alle Archive in Privateigentum, wie Adels-, Unternehmens- und Archive der Parteien und Verbände. Hier setzt der jeweilige private Träger die Bedingungen nach Gutdünken fest.
Von den gesetzlichen Sperrfristen ausgenommen ist jegliches Archivgut, das bereits beim Entstehen zur Veröffentlichung bestimmt war, zum Beispiel Pressemitteilungen, Geschäftsberichte, Werbemittel, Protokolle öffentlicher Gemeinderatssitzungen.
In Deutschland gilt das Prinzip der Trennung von Verwaltung und Archiv; gleichwohl gelten die öffentlich-rechtlichen Sperrfristen nicht nur für die Archive von Bund, Ländern und Kommunen, sondern "im Prinzip" (fast wie bei Radio Eriwan, wo stets das "aber" aus dem "ja" ein "nein" macht) für alle Behörden. Beispielsweise pflegen kommunale Bauämter Pläne zu verwahren, die vor weit mehr als 30 Jahren gezeichnet worden sind. Praktisch ist freilich ein solches Nutzungsbegehren noch nie juristisch durchgefochten worden, was wohl daran liegt, dass kein Außenstehender genau wissen kann, über welche Akten oder Baupläne eine Behörde verfügt. Und selbst wenn Sie als potenzieller Nutzer konkrete Wünsche vorbringen könnten, müssten Sie damit rechnen, abgewiesen zu werden, häufig aus Unkenntnis der Rechtslage oder wegen deren Schwammigkeit.
Es gibt die Rechtsmeinung, wonach das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit in Deutschland sogar den Zugang zu amtlichem Schriftgut ohne jegliche Sperrfristen eröffnet (siehe Udo Schäfer in <www.lad-bw.de/fr-publi.htm>), und zwar unter den Bedingungen a) auf Antrag, b) für wissenschaftliche Zwecke und c) sofern keine personenbezogenen Daten enthalten sind. Noch weiter sind bislang die vier Bundesländer Brandenburg, Berlin, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen gegangen, indem sie Akteneinsichts- und Informationsfreiheitsgesetze erlassen haben, die, wieder "im Prinzip", jedermann ohne Begründung ein Einsichtsrecht in alle Behördenunterlagen garantieren.
Ein solches Jedermann-Zugangsrecht ohne Fristen wird schon lange täglich gewährt im Fall bestimmter öffentlicher Dokumente wie der Handelsregister und Grundbücher. In wohl den meisten anderen Fällen wird Ihr gewünschter Blick in die Amtsregistratur scheitern, denn eine Fülle von einschränkenden Ausnahmen hebt das scheinbar fortschrittliche allgemeine Einsichtsrecht gerade dort auf, wo die Unterlagen interessant zu werden beginnen. Der Schutz von Persönlichkeitsrechten Dritter wirkt (zu Recht) weiter, und zusätzlich greift als Allzweckwerkzeug ein vielfältig auslegbares "Amtsgeheimnis", das es stets zu wahren gilt.
Fazit: In Behördenregistraturen recherchieren zu wollen heißt, in einen administrativ-juristischen Dschungel einzudringen. Alleine schon wegen der Infrastruktur, also mit den Findmitteln, einem Lesesaal, meist sachkundigem Personal, selbst den vergleichsweise deutlichen Nutzungsregeln, sind Sie als Forscher in einem Archiv allemal besser bedient.
Der ab und an offen oder implizit geäußerte Verdacht, Archivare würden Herrschaftswissen bunkern, kritische Interessenten abwimmeln und "den Mächtigen" Einsicht in ansonsten geheime Unterlagen gewähren, hat in öffentlichen, fachlich geführten Häusern gewiss noch nie zugetroffen und wird auch künftig unbegründet bleiben. In anderen Fällen, etwa im Rathaus einer kleinen Gemeinde, mag die Unwissenheit archivische Laien bisweilen dazu verleiten, eine berechtigte Nutzung zu verweigern, etwa unter Berufung auf einen nebulösen "Datenschutz".
Sollten Sie als NutzerIn von Sperrfrist-Fragen betroffen sein, dann besorgen Sie sich am besten den Text Ihres Landesarchivgesetzes, das für alle öffentlich-rechtlichen Archive im Bundesland gilt, überdies von vielen privaten Archivträgern freiwillig angewandt wird. In den Staatsarchiven einiger Bundesländer sind Broschüren mit den jeweiligen Landesarchivgesetzen zu haben; zumindest sollten Sie überall eine Kopie erhalten können.
Die Fundstellen aller aktuellen deutschen Archivgesetze (sowie von Kommentaren und Literatur dazu) sind nachgewiesen unter <http://www.uni-marburg.de/archivschule/jurabiblio.html>.
Mit den vorigen Abschnitten haben Sie nun gegebenenfalls eine Faktengrundlage, auf die Sie sich stützen können, um beim Vorgesetzten zu reklamieren.
Andere mögliche Einschränkungen bei der Vorlage von Archivalien
In aller Regel werden Sie im Archiv die authentischen Originale vorgelegt bekommen. In folgenden Ausnahmefällen geschieht dies nicht: a) Der Bestand wird gerade archivisch bearbeitet, also geordnet und verzeichnet oder verfilmt. b) Der Erhaltungszustand der Unterlagen lässt eine Benutzung vorläufig nicht zu, dann bekommen Sie die Stücke entweder später restauriert auf den Tisch oder auf Mikrofilm ins Lesegerät. c) Mehr als überdurchschnittlich häufig benutzte Archivalien wie z.B. Kirchenbücher (Tauf-, Sterbe-, Eheregister), bestimmte Pergamenturkunden, einzelne Karten oder Fotosammlungen dürfen zur Schonung der Originale für künftige Generationen nur in einer Ersatzversion eingesehen werden, also üblicherweise auf Mikrofilm, künftig wohl zunehmend auch in digitalisierter Form.
Benutzungsantrag
Die Existenz des Archivs wird – letztlich ausschließlich – durch die Benutzung legitimiert, und die Anträge belegen diese. Doch die bürokratische Selbstlegitimation ist nur ein Nebenaspekt. Vor allem weisen Sie mit Ihren Angaben Ihr "berechtigtes Interesse" an der Archivnutzung nach, wie es die Archivgesetze fordern. Sei dieses "berechtigte Interesse" nun wissenschaftlicher, kommerzieller, genealogischer Art, oder diene es der Wahrung persönlicher Rechte – alle diese Motive werden anerkannt. Die Angabe des Recherchethemas dient zur Prüfung, ob es sich um eine wissenschaftliche, private oder etwa kommerzielle Nutzung handelt, was eventuell Gebühren nach sich zöge. Bei wissenschaftlichen Arbeiten kann der Archivar am Thema ersehen, ob jemand anderes in letzter Zeit mit denselben Quellen gearbeitet hat, und so vor wissenschaftlichen Kollisionen warnen, oder er kann abschätzen, wo weitere einschlägige Quellen zu finden wären. Die Angaben zum Untersuchungszeitraum dienen als Signal, ob das Archivpersonal etwa auf Sperrfristen achten muss.
Nicht unerheblich ist auch die Plausibilität des Benutzungswunsches im Ganzen. So abseitig es klingen mag, aber es sind wirklich schon Leute mit Pseudo-Forschungsthemen in Archiven erschienen, um alte Briefmarken, prä-philatelistische Poststempel, so genannte "Schnörkelbriefe" oder Pergamenturkunden mit dekorativen Siegeln zu stehlen.
Wenn Sie ein bestimmtes Archiv zum ersten Mal aufsuchen und dort nicht persönlich bekannt sind, sollten Sie ein Personaldokument mitbringen, um sich ausweisen zu können.
Selbstverständlich gibt kein Archiv die erhobenen Daten weiter.
Im Lesesaal
Zusammen mit dem Benutzungsantrag erhalten Sie bei Ihrem ersten Besuch im Lesesaal die Nutzungsordnung. Dort stehen die "Spielregeln" des jeweiligen Archivs beschrieben, von den Öffnungszeiten bis hin etwa zur Anweisung, zum Umblättern von Seiten nicht die Fingerspitzen feucht zu lecken.
Tasche und Mantel müssen Sie, wie auch in anderen Einrichtungen üblich, draußen lassen, um Diebstähle zu erschweren. Das gleichfalls übliche Ess- und Trinkverbot soll nicht nur verhüten, dass jemand seine Butterfinger an der Akte abwischt, sondern schützt auch Sie als Benutzer, da Archivalien alles andere als frei sind von Mikroorganismen. Manche Archive haben schlechte Erfahrungen mit Benutzern gemacht, aus deren defektem Füllfederhalter Tinte auf die mittelalterliche Königsurkunde getropft ist, oder die für ihre Kugelschreibernotizen eine 300 Jahre alte Karte als Unterlage genommen haben, was sich dort natürlich als Relief eindrückt; diese Häuser schreiben die ausschließliche Benutzung von Bleistiften im Lesesaal vor. Größere Archive bieten Sonderräume an, wie zum Beispiel den Gruppenarbeitsraum, den Laptopraum, das Mikrofilmlesezimmer.
Nachdem Sie mit den Repertorien [Siehe 4.2] die gewünschten Archivalien ermittelt haben, schreiben Sie deren Signatur auf einen Bestellzettel. In Archiven mit starker Nutzungsfrequenz gelten so genannte Aushebezeiten: Die Lesesaalaufsicht sammelt die Bestellzettel, und zu festen Uhrzeiten holt ein Mitarbeiter das Gewünschte aus dem Magazin. Viele Archive beschränken die Anzahl der Stücke, die sie Ihnen gleichzeitig auf den Tisch legen, was es insbesondere bei losen Aktenbüscheln erleichtern soll, Zugehörigkeit und Reihenfolge der Papiere zu wahren.
Gebühren, Reproduktionsgenehmigung und Belegexemplar
ie persönliche Nutzung von Archiven für wissenschaftliche oder persönliche Zwecke ist zur Zeit (noch) überwiegend kostenfrei – sofern die gleichermaßen bürgerfeindliche wie unsinnige Idee, Eintrittsgebühren zu erheben, sich nicht noch weiter ausbreitet [Siehe 2.3.4]. Private Archive werden Ihnen vielleicht die Einsicht verweigern, doch im anderen Fall für die Nutzung kein Geld abknöpfen. Auslagen müssen Sie selbstverständlich überall übernehmen, etwa wenn Sie Kopien oder Reproduktionen von Fotos bestellen. Deren Höhe richtet sich üblicherweise (auch in anderen als den Staatsarchiven) nach den Sätzen der jeweiligen Landesverwaltung und steht auf einem Merkblatt aufgelistet, das Sie in solchen Fällen in die Hand gedrückt bekommen. Manche Archive bieten an, Recherchen für Leute zu übernehmen, die wegen der Entfernung ihres Wohnorts schwerlich selbst vorbeikommen können. Typischerweise handelt es sich dabei um genealogische Anfragen aus den USA, und bevor die Archivarin ins Magazin geht und nachforscht, schickt sie dem Interessenten die Gebührenliste mit den Stundensätzen zu. Zudem bieten freischaffende Historiker seit einigen Jahren auf dem wachsenden Dienstleistungsmarkt an, Archivrecherchen zu übernehmen.
Sofern Sie Archivalien jeder Art, also neben Fotos auch Postkarten, Zeichnungen, Pläne, Zeitungen, Textauszüge oder was immer, in einer Publikation reproduzieren (lassen) möchten, benötigen Sie dafür eine Genehmigung, die im Fall von Dissertationen, heimatgeschichtlichen Werken und dergleichen nichts, bei kommerziellen Produkten den je hausüblichen Satz kostet. Die kommerzielle Nutzung, also wenn jemand mit Reproduktionen von Archivalien oder den Ergebnissen seiner Archivrecherche Geld verdient, führt in einen Grenzbereich, in dem die Regeln von Archiv zu Archiv verschieden ausfallen: Manche nehmen Gebühren schon für die Leistungen im Lesesaal, andere erst für die Reproduktion, wobei die Gebührenhöhe je nach Auflage, Bildgröße usw. schwankt.
Mit Ihrer Unterschrift auf dem Benutzungsantrag verpflichten Sie sich, dem Archiv unentgeltlich ein Belegexemplar zukommen zu lassen, sofern Ihre Veröffentlichung "in wesentlichen Teilen" (oder ähnlich formuliert) auf Material dieses Archivs gründet. Betrachten Sie diese Verpflichtung getrost als Bitte. Erstens wird kein Archiv systematisch verfolgen, welche aus seinen Beständen heraus gewonnenen Erkenntnisse wann und wo veröffentlicht werden. Zweitens wird kein Archiv einen Gerichtsprozess anstrengen, wenn Sie ihm ein Buch zum Ladenpreis von durchschnittlich 36 Euro oder gar einen Aufsatz vorenthalten. Lassen Sie sich also bitte in der Frage "Belegexemplar" von Erwägungen der Art leiten, dass Sie im Archiv kostenfreie Leistungen erhalten haben, dass der Etat für die Dienstbibliothek auch in Archiven schmilzt und dass Ihr Werk so den Kreis seiner Öffentlichkeit ein Stück erweitert.
Service
Weiterführende, insbesondere gedruckte Literatur
Bei allen aktuell über den Buchhandel erhältlichen Werken, Stand Dezember 2003, ist der Preis angegeben. Die anderen wären ggf. antiquarisch zu haben, z.B. über <www.zvab.com>. Adressen
- Archive in der Bundesrepublik Deutschland, Österreich und der Schweiz. Münster: Ardey-Verlag, 17. Auflage Dezember 2002. Mit beigelegter CD. 35,- €. [Adressen und Mitarbeiter, untergliedert nach Archivarten ungefähr wie oben in Abschnitt 3.]
- Bernd Hüttner: Archive von unten. Bibliotheken und Archive der neuen sozialen Bewegungen und ihre Bestände. Neu-Ulm: AG SPAK 2003. 15,- €. [Der Herausgeber arbeitet im Archiv der sozialen Bewegungen Bremen (www.archivbremen.de). Er beschreibt "größere Archive" näher, nennt zu weiteren nur Adressen. Bei den von den aufgelisteten Initiativen verwahrten Beständen handelt es sich überwiegend um Sammlungen einschlägiger Bücher, Zeitschriften, grauer Literatur, Flugblätter, zum geringeren Teil um Archivgut im strengen Sinn.]
- Gabriele Jachmich (Bearb.): Archive der deutschen Kreditwirtschaft. Ein Verzeichnis. Hg. im Auftrag des Instituts für bankhistorische Forschung e.V. Stuttgart: Franz Steiner 1998. 34,- €. [Umfassender Nachweis im 1. Teil von Archiven und Altregistraturen der Kreditwirtschaftsinstitute, deren externe Benutzung in der Regel nicht gestattet wird, im 2. Teil von Bankbeständen in den Staatsarchiven.]
- Susanne Pollert: Film- und Fernseharchive. Bewahrung und Erschliessung audiovisueller Quellen in der Bundesrepublik Deutschland. Potsdam: Verlag für Berlin-Brandenburg 1996. 30,- €. [Behandelt die Archive der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten in der Bundesrepublik und der DDR.]
- Klara van Eyll, Beate Brüninghaus, Sibylle Grube-Bannasch (Hg.): Deutsche Wirtschaftsarchive. Nachweis historischer Quellen in Unternehmen, Kammern und Verbänden der Bundesrepublik Deutschland. Wiesbaden: Franz Steiner. 3., neu bearbeitete Auflage 1994 [Wegen ständiger Änderungen in den letzten Jahren nur noch eingeschränkt benutzbar.]
Archivgesetze
- Die Fundorte sämtlicher aktueller Fassungen weist nach: <www.uni-marburg.de/archivschule/jurabiblio.html>, mit Kommentaren und weiterer Literatur.
"Gesetz über die Sicherung und Nutzung von Archivgut des Bundes" in seiner jüngsten Fassung abgedruckt in: Der Archivar. Mitteilungsblatt für deutsches Archivwesen. 56. Jg. Heft 1/2003, S. 25–28. Im Internet: <http://bundesrecht.juris.de/bundesrecht/barchg/index/html> Archivistik und Quellenkunde
- Thomas Lange und Thomas Lux: Historisches Lernen im Archiv. Schwalbach 2004, 224 S., 14,30 €. [Weist bei den behandelten Themen viele Parallelen zu dieser „Gebrauchsanleitung“ auf, der Schwerpunkt liegt auf archivpädagogischen Handreichungen für den Geschichtsunterricht. Das Inhaltsverzeichnis kann hier angesehen werden]
- Norbert Reimann (Hg.): Praktische Archivkunde. Ein Leitfaden für Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste. Münster: Ardey 2004. € 29,90. [Zielgruppe wie im Titel, auch für wissenschaftliche Archivbenutzer zu empfehlen, die sich weiter ins Thema einlesen möchten.]
- Friedrich Beck, Eckart Henning (Hg.): Die archivalischen Quellen. Eine Einführung in ihre Benutzung. Köln: Böhlau. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage 2003. € 39,90 [Mit quellenkundlichem und hilfswissenschaftlichem Teil, ausführlicher Bibliographie. Geeignet für alle, die vorhaben, öfter Archivstudien zu betreiben.]
- Jörg Heinrich, Martin Klöpfer: Abkürzungen und Schriftbesonderheiten der Frühen Neuzeit aus altwürttembergischen Quellen, hrsg. vom Verein für Familien- und Wappenkunde in Württemberg und Baden. Berlin: Pro Business 2003. 14,95 €. [ Klaus Graf am 04.03.2004: "Laut Schwäbischer Heimat 2004/1, S. 126 »ausgestattet mit vielen Beispielen, zeichengerechten Wiedergaben und ihren Auflösungen ist es für Laien und Profis, für Studenten und Familienforscher gleichermaßen empfehlenswert«. Non vidi."]
- Eckhart G. Franz: Einführung in die Archivkunde. Primus, 5. Auflage 1999. € 19,90 [Kommt mit den Themen Archivgattungen, Archivgut, Aufgaben von Archivaren und Benutzung dieser Gebrauchsanleitung nahe, freilich viel ausführlicher, und eher an (angehende) Fachkollegen als ans Publikum gerichtet.]
- Evelyn Kroker, Renate Köhne-Lindenlaub, Wilfried Reininghaus (Hg.): Handbuch für Wirtschaftsarchive. Theorie und Praxis. München: Oldenbourg 1998 [Neuauflage ist in Vorbereitung. Zielgruppe sind v.a. Archiv-Beauftragte ohne Fachausbildung in Unternehmen. Für Benutzer interessant v.a. die Abschnitte zur Quellenkunde und zu Rechtsfragen.]
- Adolf Brenneke: Archivkunde. Ein Beitrag zur Theorie und Geschichte des europäischen Archivwesens. Bearbeitet nach Vorlesungsnachschriften und Nachlasspapieren und ergänzt von Wolfgang Leesch. Leipzig: Koehler & Amelang 1953 [Schwerpunkt auf den deutschen Verhältnissen. Archivterminologie, -theorie und -geschichte sind sehr speziell ausgeführt; Rezeption nur für künftige Archivnutzer-Profis sinnvoll.]
- Heinrich Otto Meisner: Archivalienkunde vom 16. Jahrhundert bis 1918 Leipzig: Koehler & Amelang 1950 [und weitere Auflagen. V.a. ausführliche Aktenkunde, mit Glossar. Sehr speziell, nur für künftige Archivnutzer-Profis sinnvoll.]
Lese-Hilfen (Schrift, Abkürzungen, Fachtermini)
- Brause Übungsheft Deutsche Schrift [erhältlich im besseren Zeitschriftenhandel.]
- Kurt Dülfer, Hans-Enno Korn: Gebräuchliche Abkürzungen des 16.–20. Jahrhunderts. Marburg: Veröffentlichungen der Archivschule 1, 7., überarbeitete Auflage 1999. € 6,20 [Sehr hilfreich, wenngleich zwangsläufig unvollständig; wird stetig aktualisiert.]
- Karl E. Demandt: Laterculus Notarum. Lateinisch-deutsche Interpretationshilfen für spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Archivalien. Marburg: Veröffentlichungen der Archivschule 7, 7. Auflage 1998. € 14,40 [Lateinische Fachbegriffe aus der Rechts- und Verwaltungssprache mit jeweiliger Bedeutung in Tabellenform.]
- Alfred Bruns: Die Amtssprache. Verdeutschung von Fremdwörtern bei Gerichts- und Verwaltungsbehörden. Fotomechanischer Nachdruck der Ausgabe von 1892. Münster: Westfälisches Archivamt, zuletzt 4. Auflage 1991.
- Adriano Cappelli: Lexikon abbreviaturarum. Dizionario di abbreviature latine ed italiane. Milano: Ulrico Hoepli 2001. Nachdruck der 6. korrigierten Auflage Mailand 1929 [Kompletteste Auswahl an Abkürzungen, die Schreiber mittelalterlicher Handschriften verwendeten, grafisch dargestellt in über 14 000 Holzschnittzeichen.]
Internet-Adressen: Archivverwaltungen, Verbände und weiteres Weiterhelfende
Weitere Adressen finden Sie in Abschnitt 3 an den Stellen, wo die jeweilige Einrichtung erwähnt oder beschrieben steht.
Bundesland-spezifische Zugänge:
Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen
http://www.vda.archiv.net [Verband deutscher Archivarinnen und Archivare, die konkurrenzlose, bundesweite Vertretung des Berufsstandes.]
http://www.archivpaedagogen.de [Eine seit wenigen Jahren institutionalisierte Gruppe von Archivpädagogen, hauptberuflich Lehrerinnen und Lehrer, die historische Bildungsarbeit in Archiven forcieren, insbesondere Schüler an Archivquellen heranführen.]
http://www.adfontes.unizh.ch [Sehr durchdachte, unbedingt empfehlenswerte interaktive Einführung für den Umgang mit mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Quellen im Archiv, vom Ermitteln über paläographische Übungen und Quellenkritik bis hin zu Editionsgrundsätzen.]
http://www.uni-marburg.de/archivschule/nutzer/Index.html [Kurzlehrgang in Archivbenutzung in Stichworten, eine Art Telegrammversion dieses Leitfadens.]
http://archiv.twoday.net [Stets aktuelle Seite des Historikers und Archivassessors Klaus Graf, der als Zielgruppe explizit (auch) Nicht-Archivare anspricht. Bietet zahlreiche interessante Verweise und Links.]
http://www.augias.net [Vom Archivsoftware-Anbieter Augias Data geführt. Bietet u.a. einen bundesweiten aktuellen Pressespiegel mit Archivthematik und eine Adressdatenbank-Recherchemöglichkeit.]
http://www.malvine.org "MALVINE. Manuscripts and Letters via Integrated Networks in Europe (Deutschland). (...) Online-Service der Staatsbibliothek zu Berlin, in dem Nachlässe und Autographen nachgewiesen werden. MALVINE bietet Informationen über Art und Standort moderner Manuskripte, die in den angeschlossenen Europäischen Bibliotheken, Archiven und Museen gesammelt werden."
Further Links and Endnotes
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